Im Koalitionsvertrag hat Inklusion als Thema zwar Eingang gefunden, wird allerdings nur unter dem Thema „Inklusion und Förderschulen“ (S. 34) subsumiert. Die UN-BRK definiert jedoch ein anderes Verständnis von Inklusion. Sie bezieht sich unmittelbar auf Menschen mit Behinderungen und weist dennoch durch ihre vorangestellte Definition von Behinderung darauf hin, dass es um viel mehr geht, als eine reine Fokussierung auf den Behinderungsbegriff in der üblichen Form. Behinderung ist in ihrer Definition im medizinischen Sinne wird abgelöst durch ein soziales Verständnis vom grundsätzlichen Umgang mit Heterogenität, Behinderung wird zum aktiven Prozess, der erst durch gesellschaftliche Einschränkungen und Barrieren entsteht. Deshalb fordert die UN-BRK im Folgenden jeden Einzelnen auf, genau diese „Behinderungen“ zu beseitigen und bezieht bei der Umsetzung der Inklusion außerdem alle mit ein, die derzeit aufgrund von gesellschaftlichen Normen und Verhaltensweisen oder von Barrieren (im Umfeld/in den Köpfen) in ihren Entfaltungsmöglichkeiten eingeschränkt bzw. diskriminiert werden.
Denkt man also nicht mehr vom einzelnen Individuum her, bei dem eine Behinderung festgestellt wird, sondern betrachtet man Behinderung als Resultat des gesellschaftlichen Umgangs miteinander, kommt man nicht umhin, Inklusion viel weitgreifender zu verstehen: Ausgehend von der Verpflichtung zur Wertschätzung eines jeden Einzelnen und zur Akzeptanz von Verschiedenartigkeit stellt Inklusion die Grundlage gesellschaftlichen Handelns dar: Niemand darf aufgrund seiner Herkunft, seinen Fähigkeiten, Begabungen oder Einschränkungen etc. benachteiligt werden. Es hat sich in den letzten Jahren bereits gezeigt, dass die Umsetzung der UN-BRK einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel hervorruft. Das Thema Inklusion ist erfreulicherweise allmählich in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Nun gilt es, Inklusion auch an den einzelnen Schulen vor Ort zu realisieren und Schulleitungen, Pädagogen und alle übrigen dort tätigen Verantwortlichen in die Lage zu versetzen, inklusiv zu denken bzw. innerhalb ihrer eigenen Sozialräume inklusive Konzepte in eigener Verantwortung zu entwickeln. Das ist eine Aufgabe, die weit über die Diskussion zur Auflösung bzw. Umorganisation der Förderschulen, d.h. über die Thematik „Inklusion und Sonderpädagogik“ des Koalitionsvertrags hinausgeht. Alle verantwortlichen Akteure im Bereich von Schule und Bildung sind aufgerufen, sich mit der neuen Aufgabe der Umsetzung der Inklusion zu befassen.
Daher bitten wir darum, Inklusion generell (und nicht nur unter dem Unterpunkt Sonderpädagogik) zum Schwerpunktthema des Bildungsgipfels zu machen und nochmals zu betonen, dass das Thema Inklusion jeden einzelnen von uns betrifft.
Wir schlagen folgende Themenbereiche vor, die unter dem Aspekt der Inklusion werden sollten:
Bewusstseinsbildung: Aufruf an die Schulen sich mit Inklusion innerhalb des jährlich fortzuschreibenden Schulprogramms und im Leben in der Schulgemeinde zu beschäftigen:
Was ist schon inklusiv im Leben der Schulgemeinde? (Z.B. Wertschätzung im Umgang mit den Schülern, gegenseitige Achtung und Akzeptanz, Konzept der individuellen Förderung, Teamteaching, differenziertes Material, Umgang mit der Notengebung, Zusammenarbeit mit den Eltern und außerschulischen Institutionen)
Gibt es bereits Erfahrungen mit Schülern mit besonderem Förderbedarf? Wie lassen sich die Kenntnisse ausbauen, Erfahrungen teilen, woher kommt weitere Beratung/Informationsaustausch?
Blick auf die „Checkliste Inklusion“ des HKM: Was macht die Schule bereits, was könnte sie in ihr Schulprogramm aufnehmen?
Das pädagogische Konzept einer Schule kann von vorneherein inklusiv ausgelegt sein, die Schule macht sich bewusst, dass das nicht noch „on top“ hinzukommen muss.
Schulen können sich untereinander austauschen und vernetzen, auch mit anderen Institutionen Zusammenarbeit mit den Kitas, mit der weiterführenden Schule.
Anstoß geben für Beschäftigung mit Inklusion – Schulen nehmen Inklusion ins Konzept auf.
Die Schule benennt einen Ansprechpartner für Inklusion, ähnlich dem Ansprechpartner im Kollegium für LRS (s. Verordnung zur Gestaltung des Schulverhältnisses). Die Schulgemeinde bestimmt selbst, welche Aufgaben und Kompetenzen dieser haben soll.
Mögliche wäre die Einrichtung einer AG Inklusion/ die Benennung eines Ansprechpartners beim Elternbeirat als niedrigschwellige Anlaufstelle für Eltern (vgl. Konzeptentwurf Modellregion Offenbach)
Die SV/Schülersprecher benennen eine Person in ihrem Team als Ansprechpartner für Inklusion (vgl. Broschüre: Schulen und Inklusion in Oldenburg)
Inklusion wird Bestandteil des Lebens der Schulgemeinde
Kultur der Teamarbeit: Klassenlehrerteams innerhalb eines Jahrgangs, Teams aus Klassen/Fachlehrer, Förderlehrer, Sozialpädagoge, Schulpsychologe, Teilhabeassistent/päd. Fachkraft, externe Therapeuten etc.
Regelmäßiger Einsatz von Runden Tischen, Einplanung eines Zeitrahmens für Teamgespräche.
Wertschätzender und hilfsbereiter Umgang miteinander (schulintern, extern z.B. mit den Eltern).
Teamteaching statt Einzelkämpfertum (Einbezug verschiedenster Fachexpertise)
Der Aufbau der Ganztagsschule hat die Auflösung der Horte zur Folge. Die Nachmittagsbetreuung geht allmählich von der reinen Betreuungsaufgabe durch Kommunen, private Träger etc. in die schulische Bildung über. Zuständig für das Nachmittagskonzept wird dadurch die Schulbehörde/HKM. Bisher ungeregelt ist die Problematik der Kinder mit besonderem Förderbedarf: Der Integrationsplatz des Horts fällt weg, die von den Eltern stattdessen beantragte Teilhabeassistenz ist nach SGB einkommensabhängig und wird nicht ohne weiteres bewilligt. Die zunehmende Pädagogisierung des Nachmittags erfordert entsprechend pädagogische/sonderpädagogische Kräfte, bzw. zumindest pädagogische Fachkräfte für die besonderen Kinder, die jedoch über das Sozial-/Jugendamt bewilligt werden müssen. Die Kreise und Kommunen sehen sich dabei jedoch nicht in der Pflicht, denn das Nachmittagsangebot wird zunehmend ein schulisches Programm.
Hier besteht dringend Regelungsbedarf, Lösungen sind bisher (auch bereits für das kommende Schuljahr) noch nicht in Sicht.
Berücksichtigung der Inklusion bei der Konzepterstellung für die Ganztagsschule Gesetzliche Regelungen bzw. Rahmenverträge für die Betreuung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen
Ziel des Koalitionsvertrags ist die Umsetzung der Inklusion in den Grundschulen bis zum Ende der Legislaturperiode. Dies reicht jedoch nicht aus, denn jedes Jahr wechseln Schüler mit besonderem Förderbedarf in die weiterführenden Schulen. Hier bedarf es neuer Unterrichtskonzepte, um auch diesen Schülern gerecht zu werden. Nachweislich lassen sich Schüler mit besonderem Förderbedarf gut in der weiterführenden Schule unterrichten, wenn die bisher praktizierte Unterrichtspraxis des Frontalunterrichts zugunsten von neuen Unterrichtsformen aufgegeben wird. (Zusammenfassend vgl. Kersten Reich, Inklusive Didaktik, Weinheim/Basel 2014).
Unterrichtsgestaltung in der weiterführenden Schule berücksichtigt die Bedürfnisse aller Schüler.
Förderschulen müssen so umstrukturiert werden, dass sie den Forderungen der UN-BRK entsprechen:
volle Teilhabe und individuelle Förderung aller Schüler in einem allgemeinen, nicht separativen Schulsystem