Beispiele für die gelungene Umsetzung von Inklusion
Inklusion ist machbar - hier finden Sie eine Sammlung von Inklusionsgeschichten und Beispielen dafür, dass Inklusion in der Schule auch heute schon machbar ist, wenn alle Beteiligten mitziehen. (Dokument als PDF)
Annas zweiter Sohn Erik ist das, was man schwerstbehindert nennt. „Er kann gar nichts“, sagt Anna. Nicht laufen, nicht sprechen, nicht essen, nicht sehen. Die Herz-OP nach der Geburt ist schief gegangen. Über Inklusion in der Schule hat Anna sich keine Gedanken gemacht. Gut, Erik besuchte den integrativen Kindergarten, immer wenn er einen guten Tag hatte. Aber eigentlich ging es die ersten Jahre täglich nur ums Überleben.
Was inklusive Schulen leisten können, sah Anna jeden Tag in der Schule ihres älteren Sohnes. Wie selbstverständlich dort rollifahrende Mitschüler und Kinder mit Autismus oder geistiger Behinderung mittendrin waren. Aber für Erik? Förderschule, keine Frage! Ein Gespräch mit den Lehrern brachte Annas Gedanken in Bewegung. „Ich habe mindestens zwölf Gründe gehabt, warum das mit Erik in der Grundschule auf gar keinen Fall gut gehen könne“, erinnert sie sich, „und bei jeder Schwierigkeit hatten die Lehrer eine Idee, wie man das alles trotzdem hinkriegen könne.“ So wurde Erik im Sommer 2009 an der Grundschule eingeschult. Mit Stehständer, Liegekissen, Schulbegleiter und alle den Pflegeutensilien, die Erik braucht. Und mit Schulranzen. Dass der fehlte, hatte Eriks Bruder zwei Tage vor dem ersten Schultag bemerkt. Schüler ohne Ranzen? „Geht gar nicht!“, entschied er. Und wählte einen mit Star Wars-Motiven aus.
Die ganzen Grundschuljahre hat Erik inmitten der Kinder aus der Nachbarschaft verbracht. Meistens war er mit im Klassenraum, bekam dort seine Fördereinheiten und Therapien. Er wurde in den Pausen auf den Schulhof mitgenommen, ging mit zum Sportunterricht, hat die musikalischen Gehversuche seiner Mitschüler im Musikunterricht kommentiert. Denn Erik kann deutlich zeigen, wenn ihm etwas nicht gefällt. Oder wenn er sich freut.
Im Unterricht haben die anderen Kinder zu jedem Thema passende Dinge zum Anfassen gebastelt, damit auch Erik begreift worum es gerade geht. Sie haben ihn zu ihren Gruppenarbeiten herangezogen und mit ihm geredet, was sie gerade tun. Irgendwann sprach die Klassenlehrerin Anna an: „Ich habe noch nie eine Klasse gehabt, in der alle so schnell lesen gelernt haben“, berichtete sie. Und der Grund für den Lernerfolg war eindeutig Erik. Alle wollten Erik vorlesen, Das haben sich auch die scheuen Kinder getraut, die vor dem Lehrer oder den anderen Mitschülern den Mund nicht aufkriegen. Und alle haben sich größte Mühe gegeben gut und deutlich und spannend vorzulesen. So gut, dass Erik sich freut. „Da hab ich begriffen, dass mein Sohn Erik doch etwas kann“, sagt Anna. „Erik macht andere Kinder schlau.“
Als Erik vor einem Jahr die Grundschule verlassen hat, waren die jüngeren Kinder der Klasse traurig, dass sie nun Niemanden mehr haben dem man so gut vorlesen kann. Aber Erik hat andere Aufgaben. Er macht jetzt an der Gesamtschule die Anderen schlau.
Quelle: ein blog von mamamonster (http://www.eine-schule-fuer-alle.info/blog/artikel/was-erik-kann)
Die Eltern der Elfjährigen konnten im Anschluss an die vierte Klasse in der örtlichen Grundschule keine weiterführende Schule im Landkreis finden, die bereit gewesen wäre das Mädchen zu nehmen und das, obwohl vom zuständigen Staatlichen Schulamt eigens beauftragte Gutachter "einen erfolgreichen Besuch an einer allgemeinen weiterführenden Schule für möglich erachten, wenn bestimmte Aspekte berücksichtigt werden".
Eltern von Kindern ohne Behinderungen geben beim Wechsel bis zu drei Wunschschulen an. Ihre Kinder erhalten dann spätestens im Rahmen der Verteilerkonferenz einen Platz an einer weiterführenden Schule. Die Eltern der Elfjährigen mit Down Syndrom waren dagegen gezwungen, selbst Schule um Schule wie Bittsteller zu kontaktieren und um ein Gespräch mit der Schulleitung zu bitten, das ihnen oft einfach verweigert wurde. Sie mussten sich anhören, man sei keine inklusive Schule, habe keine Erfahrung oder nehme sowieso nur Kinder, die im direkten Umfeld wohnen.
Nachdem vor einem Jahr zwei wohnortnahe Schulen in ihrem Kreis ihre anfängliche Bereitschaft, das Kind aufzunehmen mit der Begründung zurückgenommen hatten, es stünden nicht ausreichend Förderstunden zur Verfügung, musste das Mädchen also die 4. Klasse an der Grundschule wiederholen. Dort wurde sie von einer Förderlehrerin gemäß Förderschullehrplan unterrichtet und erhielt gleichzeitig von den Mitschülern, die sie sich zum Vorbild nehmen konnte, mehr Anregung und Impulse für Aktivitäten, als von Kindern in der Förderschule mit ähnlichem Entwicklungsstand ausgehen. Zusätzlich wurde sie von einer Schulassistentin beim Lernen unterstützt. Für die weiterführende Schule hat der Kreis nun sogar eine pädagogische Fachkraft bewilligt.
Die Eltern dehnten daraufhin die Suche nach der Schule auf den Nachbarkreis aus, zwei weitere Schulen aus diesem Kreis jedoch, die anfangs eine Aufnahme in Betracht zogen, lehnten ebenfalls ab. Als Grund wurden wieder die angeblich fehlenden Ressourcen genannt. Man beruft sich auf die Anzahl der Förderlehrerstunden, die Notwendigkeit der kleinen Klasse, die herzustellende Barrierefreiheit etc. So verweist man auf den gesetzlichen Ressourcenvorbehalt und kann mit einem Schulterzucken das Problem an die Förderschule abgeben.
Um die zur Verfügung gestellten Mittel geht es aber am Ende eigentlich gar nicht. Hubert Hüppe der ehemalige Behindertenbeauftragte des Bundes und selbst betroffener Vater, sagte treffend: „Wer Inklusion will, sucht Wege. Wer sie nicht will sucht Begründungen“. Ein Kind mit Förderbedarf „geistige Entwicklung“ erhält für die Inklusion neben der systemischen Zuweisung zusätzliche Förderstunden direkt vom Kultusministerium. Die Höhe der Förderstunden ist in der Inklusion also vergleichbar mit dem, was ein Schüler in der Förderschule erhält. In der allgemeinen Schule soll das dann aber nicht funktionieren? Obwohl der Förderlehrer stundenweise mit in der Klasse ist und eine pädagogische Fachkraft der Schülerin Vollzeit zur Verfügung steht?
In einer Förderschule seien ja auch nur 8 Schüler in einer Klasse, heißt es dann, so könne man die einzelnen Schüler viel besser fördern. Bei 25 Schülern könne man dagegen nicht mehr individuell auf die Schüler eingehen. Aber genau das steht schon seit Jahren in unserem Schulgesetz, Lehrer sind grundsätzlich dazu verpflichtet, egal ob es sich um Kinder mit oder ohne Behinderungen handelt. Nicht die Klassengröße, sondern die Art des Unterrichtes ist von Bedeutung. Und wenn man Wege sucht, bei denen kein Schüler zurückbleibt, eine Pädagogik der Vielfalt lebt, kommt dies am Ende sogar allen zugute.
Die Vorteile, die Inklusion mit sich bringt, bleiben meist gänzlich unerwähnt: Nämlich dass Kinder mit Behinderungen von und durch ihre Mitschüler zusätzliche Förderung erhalten, dass es nicht nur darum geht, was sie kognitiv lernen, sondern auch darum, sie vorzubereiten auf ein Leben in der Gesellschaft, auf ein Miteinander ohne ständig auszusortieren. Schule soll außerdem für alle Schüler unsere demokratischen Grundwerte wie Akzeptanz, Toleranz und Rücksicht lehren. Lehrer sollten dabei mit gutem Beispiel voran gehen. Stattdessen bildet man bei Anfragen der Eltern nach Inklusion lieber große Gremien, genannt Förderausschüsse, in denen die betroffenen („von Inklusion bedrohten“) Lehrer ihre Bedenken vortragen, sich gegenseitig darin versichern, dass das Kindeswohl bei ihnen nicht garantiert werden kann. Hört man diesen Lehrern zu, so spürt man die Unsicherheit und die Angst, etwas falsch zu machen, den Wunsch, im Althergebrachten zu verharren, anstatt neue Wege ins Ungewisse zu gehen und etwas auszuprobieren, was für alle ein Gewinn sein könnte. Lehrer, die den Schritt in die Inklusion gewagt haben, berichten, wie erfüllend das auch für sie selbst ist.
In eine der weiterführenden Schulen fand dann endlich (Ende Juni!) der Förderausschuss statt. Die Schule macht bereits Inklusion, sie zeigte große Offenheit. Dennoch, man spürte förmlich die Stimmung allmählich kippte und die Angst vor dem Unbekannten siegte. Am Ende stand auch hier die Ablehnung und das nicht einstimmige Ergebnis ging ans Staatliche Schulamt. Die Eltern wandten sich daraufhin erneut direkt ans Schulamt und forderten die Schulbehörde auf, von ihrem Recht auf Zuweisung zur Inklusion Gebrauch zu machen. Auf einen Versuch käme es doch an (zeitlich begrenzt, um die Ängste zu nehmen?). Fiona kommt aus der Inklusion, sie ist es gewöhnt und sie erhält allein durch ihre Mitschüler Anregungen, die sie in einer Förderschule nie bekommen könnte. Bei der Abwägung zwischen einer spezialisierten, auf sonderpädagogische Schwerpunkte abzielenden Förderung und der Chance auf Förderung durch das gemeinsame Miteinander haben sich die Eltern für das soziale Miteinander entschieden. Wann sollen Schüler (auch die ohne Behinderungen) lernen, selbstverständlich miteinander umzugehen und Rücksicht zu nehmen, Vielfalt erkennen und akzeptieren, wenn nicht schon während der Schulzeit?
Am Ende der Ferien am dann endlich de erlösende Botschaft: Das Staatliche Schulamt hat eine Schule gefunden, die bereit ist, es zu versuchen. Fiona wird zum neuen Schuljahr in die inklusive Beschulung in einer IGS wechseln. Zunächst für ein Jahr, doch es ist der erste Schritt und bisher (8 Wochen nach Beginn des neuen Schuljahres) läuft es gut.
Anna kam in die 1. Klasse der örtlichen Grundschule als eines der ersten „Inklusionskinder“, nach dem Umzug in eine andere Stadt hatten die Eltern Glück und fanden schnell eine Grundschule, deren Schuldirektor inklusive Beschulung aktiv unterstützt und sofort bereit ist, das Kind zu nehmen. Das zuständige BFZ berät und begleitet die Eltern und unterstützt auch bei der Verweigerung der Teilhabeassistenz durch das Sozialamt, in langen Gesprächen zwischen Eltern, Schulleitung, Klassenlehrerin, BFZ und Jugendamt wird die Teilhabeassistenz letztendlich aber doch für 20 Stunden bewilligt. Ein Förderlehrer kommt 8,9 Stunden. Das Mädchen fühlt sich wohl in der Schule, die Klasse akzeptiert die Mitschülerin, Kontakte und Freundschaften entstehen. Gemeinsam mit ihren Freundinnen möchte sie auf die weiterführende Schule wechseln. Die Eltern nehmen Kontakt mit zwei in Frage kommenden Schulen (in die auch die Freundinnen gehen wollen) auf, bei beiden Schulen zeigt man sich offen. Die Eltern füllen fristgemäß das Anmeldeformular aus, das BFZ steht weiterhin beratend und begleitend zur Seite, Anfang des Jahres findet bereits der Förderausschuss in der Wunschschule statt, man einigt sich einstimmig auf Inklusion dort und Ende Januar erhalten die Eltern bereits den Bescheid, dass ihre Tochter auf der weiterführenden Haupt- und Realschule für die künftige 5. Klasse aufgenommen ist. Acht Wochen nach Schuljahresbeginn hat sie sich bereits bereits gut eingelebt und fühlt sich sehr wohl in ihrem Umfeld.
Als die Eltern mit Niklas zur Schulanmeldung in die örtliche Grundschule kamen, schaute die Direktorin nur kurz den Jungen an. Dann blickte sie auf die Eltern und erklärte: „Dafür sind wir hier nicht zuständig. Den tun Sie bitte in die Sonderschule.“ Den Eltern war schon klar, dass das was sie wollten, zu dem Zeitpunkt eigentlich nicht üblich war. Doch sie leben in einer kleinen Stadt mit knapp 30.000 Einwohnern, im Ort sind sie gut vernetzt und Niklas besuchte schon den Kindergarten um die Ecke. Die nächste Förderschule ist 15 km entfernt, warum sollte der Junge also nicht in die Grundschule vor Ort gehen, in die schon der Großvater und der Vater gegangen sind? Sie schafften es, noch nach dem altern Schulgesetz die Zuweisung zur Inklusion an der örtlichen Grundschule zu erhalten. Zwischen Schule und Eltern begann eine enge Kooperation, die Schule machte einen erstaunlichen Wandel durch. Sie machte mit ihrem ersten Schüler mit Behinderungen so gute Erfahrungen, dass sie seitdem alle Kinder ihres Schulbezirkes aufnimmt, egal welche Art von besonderem Förderbedarf sie haben.
Beim Übergang in die weiterführende Schule begann das Problem von neuem. Inklusion in der Grundschule ja, aber in einer weiterführenden Schule? Trotz vieler Vorgespräche und der Unterstützung durch das zuständige BFZ, trotz des Angebots der Elterninitiative, Lehrer und Schulleitung mit inklusionserfahrenen Kollegen in Kontakt zu bringen, trotz der garantierten Unterstützung durch Förderlehrer und Teilhabeassistenz, lehnte die Schule im Förderausschuss die inklusive Beschulung ab. Es folgten weitere Gespräche, die Familie, schon wieder in der Position des Vorkämpfers gegen Angst und Unsicherheit, bestand weiterhin auf Inklusion genau an dieser Schule, da sie nicht weit vom Wohnhaus der Familie liegt und ein Teil der Mitschüler von Niklas ebenfalls dorthin gehen würden. Schule und Schulamt einigten sich, man besserte bei den Bedingungen innerhalb der Schule nach, die Schule rückte von ihren Ablehnungsgründen (große Schule, keine kleinen Klassen, keine Garantie zu individuellen Förderung) ab. Kurz vor Ferienende kam dann die erlösende Botschaft vom Staatlichen Schulamt: Niklas darf nach den Ferien als erster Schüler in der Inklusion die IGS vor Ort besuchen. In den ersten Wochen schon hat er sich gut eingelebt, geht gern in die Schule und macht gute Fortschritte auch beim Lernen. Die Mitschüler haben ihn von Anfang an akzeptiert, er ist Teil der Schulgemeinde wie die anderen Schüler auch.